Morbus Bechterew und Polyneuropathie

Rolf Ludwig
pensionierter Landwirtschaftsdirektor, Jahrgang 1942

Nachdem seit ungefähr meinem 20. Lebensjahr immer dann Kreuzschmerzen an der Wirbelsäule auftraten, wenn ich Schweres hob oder länger trug oder wenn ich mit den Händen vor dem Oberkörper arbeitete (z: B. Basteln oder Spülen), häuften sich in den 90er Jahren Kreuz- und Piriformisschmerzen. Diese Schmerzschübe wurden mit Schmerzmitteln wie Voltaren und in schlimmen Fällen mit Cortison bekämpft.

Im November 2001 wachte ich eines Morgens mit starken Schmerzen an Brustwirbelsäule, Sacroiliacalgelenk, Knie und Sprunggelenk auf. Ich konnte nur mit fremder Hilfe aufstehen und mich anziehen. Meinem Arzt war bekannt, dass ich den Bechterew-Faktor trage genauso wie mein Vater und meine beiden Söhne. Er stellte die Diagnose „aktive Spond-arthritis mit peripherer Beteiligung und Sacroileitis“ und begann sofort mit einer Basisbehandlung mit Methotrexat, 1x wöchentlich 20 mg kombiniert mit 5 mg Folsäure an zwei Tagen. Die Schmerzen wurden mit Celebrex, Tramadol und Vioxx bekämpft (Vioxx wurde später durch Rantudil ersetzt). Wenn die Schmerzen ganz schlimm wurden, wurde Cortison verabreicht. Außerdem legte ich Kältekissen auf. Der CRP-Wert kletterte auf 9,5.

Nach 3-4 Wochen, als keine deutliche Verbesserung eingetreten war, wurden mir zusätzlich noch Arava-Tabletten verordnet, die aber auf die Dauer zu Durchfall führten. Dieser wurde mit Loperamid bekämpft. Als ich von Todesfällen durch Arava erfuhr, setzte ich dieses Medikament nach ca. 1½ Jahren ab. Die Basistherapie mit MTX (Methotrexat) sollte ich nach Angaben meines Arztes lebenslänglich als wöchentliche Spritze oder in Tablettenform nehmen. Es könnten allenfalls gelegentliche Pausen von 14 Tagen eingelegt werden. Tatsächlich ließ ich mir sehr regelmäßig bis zum Beginn der stationären Behandlung in der Klinik am Steigerwald wöchentlich eine Spritze mit 20 mg MTX geben. Die häufig auftretenden heftigeren Schmerzschübe überstand ich mit den genannten Schmerzmitteln und gelegentlichen Cortisongaben.

Im August 2002 kamen dann erste Anzeichen der Polyneuropathie. Anfangs dachte ich, dass meine Sandale meine große Zehe wund gerieben habe, und wunderte mich, dass keine wunde Stelle zu sehen war. Auch musste ich öfter kleine Schritte seitwärts machen um mein Gleichgewicht zu halten. Diese Symptome vergingen nach ein paar Wochen, um dann im Oktober wieder stärker als zuvor aufzutreten. Außerdem begann unterhalb der Knöchel die Haut meiner Füße zu brennen. Es fühlte sich so an, als ob ich dauernd in Brennnesseln stünde. Mein HbA1c-Wert schwankte zwischen 5,6 und 5,9, deshalb wurde als Ursache Diabetes mellitus Typ 2 angenommen. Ich nahm damals 1 mg Amaryll am Tag. Bekämpft wurde die PNP mit Tromlipon 600 (alpha-Liponsäure). Ein eventueller Vitamin-B12-Mangel sollte mit Milgamma mono 150 (Benfotiamin 150 mg) behoben werden. Besonders starkes Brennen sollte Trancopal dolo lindern. Diese Medikamente, die mir von meinem Rheumatologen verschrieben wurden, halfen nicht. Die Schmerzen wurden immer schlimmer.

Anfangs war beim Stimmgabeltest das Vibrationsempfinden in den vorderen Sprunggelenken aufgehoben. Als auch im oberen Sprunggelenk das Vibrationsempfinden aufhörte und das Tragen geschlossener Schuhe immer schmerzhafter wurde, ging ich zum Chefarzt einer neurologischen Klinik. Dieser diagnostizierte „Polyneuropathie unklarer Herkunft, am ehesten diabetischer Genese: Funikuläre Myelose bei Folsäuremangel unter Methotrexattherapie“. Er empfahl die gleichen Medikamente wie mein Rheumatologe, von denen ich ja schon wusste, dass sie nicht helfen. Im Jahr 2003 konnte ich nur noch in hinten offenen Sandalen gehen und Auto fahren. Mein Gang wurde immer unsicherer. Manchmal wich ich bis zu einem Meter von dem Weg ab, den ich eigentlich gehen wollte. Hosen konnte ich nicht mehr im Stehen anziehen.

Als ich im Januar 2004 beim Stimmgabeltest auch in den Knieen das Vibrieren nicht mehr spürte, bekam ich es mit der Angst zu tun und suchte mit „Google“ wieder nach „Polyneuropathie“. Einer der ersten Einträge führte zur Klinik am Steigerwald (zur Zeit ist es der zweite Eintrag). Am Tag nach dieser Entdeckung telefonierte ich mit den Damen der Ambulanz und wurde auf eine zwei- bis dreimonatige Wartezeit für einen Behandlungstermin verwiesen. Daraufhin fuhr ich am nächsten Tag ohne Anmeldung 130 km weit in die Klinik und bat um eine kompetente Auskunft ob mir in der Klinik geholfen werden könne. Ein Arzt hörte sich meine Krankengeschichte an, fühlte ausführlich meinen Puls und besah sich noch ausführlicher meine Zunge. Danach sagte er mir ziemlich wörtlich: „Wir können die Krankheit aufhalten. Was aber schon kaputt ist, können wir nicht mehr reparieren.“ Diese Aussicht genügte mir damals. Heute weiß ich, dass er tiefgestapelt hat.

Nach 3 Wochen Kampf mit meiner privaten Krankenversicherung wegen der Kostenübernahme kam ich Mitte Februar 2004 hierher in stationäre Behandlung. Ich kann mich noch gut erinnern wie der Chefarzt bei der ersten Visite zu mir sagte: „Wir bekämpfen nicht Ihre PNP sondern deren Ursache.“
Sofort gestrichen wurden dann folgende Medikamente:

  • der Lipidsenker Sortis 20 (Atorvastin)
  • das Harnsäuremedikament Zyloric 100
  • der Magenschutz Pantozol 40
  • Methotrexat und Folsäure
  • Trommlipon 600
  • Detrusitol (Tolderodin)


Amaryl (1mg) wurde erst nach 14 Tagen abgesetzt. Die Medikamente, die ich nach meinem Herzinfarkt einnehmen musste, wurden beibehalten.

Täglich hatte ich lange Gespräche mit meiner Ärztin und 2 mal wöchentlich war Visite mit dem Klinikchef, seiner Stellvertreterin und den Stationsärzten, insgesamt acht Personen. Lustig war für mich dabei immer, dass, wenn ich die Zunge bleckte, acht Ärzte die Hälse reckten und die weit hinten Sitzenden sogar aufstanden. Die chinesischen Heilpflanzen-Rezepturen wurden anfangs öfter gewechselt. Außerdem bekam ich Fußreflexzonenmassagen, Akupunktur und Shiatsu.

Meinem Shiatsu-Therapeuten, sagte ich vor der zweiten Behandlung, dass ich seit ca. einem halben Jahr beim Gehen unterhalb der linken Ferse einen stechenden Schmerz verspüre. Mein ausgezeichneter Physiotherapeut in meinem Heimatort hatte diesen immer nur vorübergehend lindern können. Als der Therapeut mir erklärte „ ...das behandele ich von der Kopfregion ausgehend ...“, kamen mir Zweifel, ob ich vielleicht doch Scharlatanen in die Hände gefallen sei. Ich lag auf dem Rücken auf der Matte. Er nahm meinen Hinterkopf in beide Hände und... ich schlief ein. Nach der Behandlung war der Schmerz den ganzen Tag über noch da. Aber am nächsten Tag war er verschwunden – bis heute.

Am täglichen Qigong nahm ich teil, wobei mir anfangs sehr bewusst wurde, wie schwer ich beim Stehen das Gleichgewicht halten konnte. Zwei oder dreimal pro Woche nahm ich auch am Autogenen Training teil. Nach einer Woche zog ich zum ersten Mal wieder meine bequemen Turnschuhe an und ging ein paar Meter auf dem Waldweg vor der Klinik spazieren. Nach vierzehn Tagen konnte ich schon einen Kilometer in Turnschuhen gehen und am Tag vor meiner Entlassung ca. drei bis vier Kilometer.

Mein Rheumatologe prophezeite mir kurz nach dem Klinikaufenthalt, dass ich in spätestens vier bis sechs Wochen wieder Methotrexat und Schmerzmittel wegen der Spondarthritis nehmen müsste. Er hat Gott sei Dank nicht recht behalten. Rücken, Kniee und Sprunggelenke sind seither schmerzfrei und auch die Piriformis-Schmerzen bin ich los. Die Vibration beim Stimmgabeltest spüre ich wieder deutlich in den Knieen und schwach in den oberen Sprunggelenken. Mein CRP-Wert liegt aktuell bei 0,45, also im normalen Bereich. Die Polyneuropathie-Schmerzen wurden immer schwächer. Heute kann ich wieder normale Straßenschuhe tragen.

Von der PNP sind zurückgeblieben:

  • ein „fremdes“ Gefühl in den Füßen, das zeitweise unangenehm wird. Schmerzen kann man das aber nicht nennen.
  • ein noch leicht unsicherer Gang; ich kann aber wieder auf einem Bein stehen (z.B. beim Hoseanziehen)


Die Arztaussage war also untertrieben: „Was schon kaputt ist, können wir nicht mehr reparieren.“ Vielleicht ist sie richtig, aber zwischen kaputt und funktionslos wissen die Ärzte der Klinik gut zu unterscheiden. In den vergangenen dreieinhalb Jahren gab es auch Zeiten mit leichten Verschlechterungen, die vielleicht darauf zurückzuführen sind, dass ich mich nicht mehr konsequent vegetarisch ernähre.

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